Eine Frage vorab zum Allgemeinwissen: Wie viele Jahre reichen die aktuell nachgewiesenen Ölreserven der USA noch aus, wenn die derzeitige Förderrate in Zukunft gleich bleibt? Wer bei der Beantwortung dieser Frage im zwei- oder gar dreistelligen Bereich liegt, sollte dringend diesen Beitrag lesen und sich danach fragen, wie sehr er seiner gewohnten Informationsquelle noch vertrauen kann.
Der SPIEGEL ist eines der wichtigsten Leitmedien Deutschlands (vgl. https://www.newsroom.de/news/press-relations-schneller-mehr-wissen/telekommunikation-11/medienlandschaft-in-deutschland-bild-und-sz-gehoeren-weiterhin-zu-den-top-leitmedienard-erstmals‑a/). Sein Ableger, SPIEGEL ONLINE, hat eine Reichweite von über 20 Mio. Konsumenten pro Monat (vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/165258/umfrage/reichweite-der-meistbesuchten-nachrichtenwebsites/). „SPIEGEL-Leser wissen mehr“, lautete ein Slogan, mit dem das Wochenmagazin bis in die 1990er Jahre für sich geworben und damit auf die hohe Qualität seiner Berichterstattung hingewiesen hat. Doch stimmt das in Bezug auf die Informationen zum Bedarf, zum Import, zu den Förderkosten, zum Fracking sowie zu den Reserven von Erdöl in den USA?
Für diesen Beitrag wurden 700 Artikel der letzten fünf Jahre im Archiv von SPIEGEL ONLINE inhaltlich untersucht. 105 Meldungen, die einen Bezug zu den benannten Themen hatten, wurden nach inhaltlichen Aussagen über die Menge der Förderung, der Höhe der Förderkosten, des Verbrauchs und des Imports, der Wirtschaftlichkeit des Frackings sowie der Menge der verbleibenden Reserven ausgewertet. Um die Auswertung nachvollziehen zu können, bedarf es zunächst einer Darstellung der allgemein bekannten Fakten zu diesen Themen.
Aktueller Kenntnisstand zu Verbrauch, Förderung, Förderkosten, Importe und Reserven von Öl in den USA
Die USA haben mit aktuell über 20 Mio. Barrel pro Tag und einem jährlichen Verbrauch von 7,3 Mrd. Barrel bei weitem den absolut größten Erdölbedarf der Welt (vgl. https://www.welt-in-zahlen.de/laendervergleich.phtml?indicator=93). Fast ein Viertel der gesamten Ölproduktion der Erde wird in den Vereinigten Staaten verbraucht, obwohl deren Einwohner nur 4,3 % der Weltbevölkerung stellen.
Seit 1971 laufen sich die USA, Saudi-Arabien sowie die Sowjetunion bzw. Russland gegenseitig den ersten Rang des größten Erdölförderlandes der Welt ab. Derzeit produzieren diese drei Länder annähernd die gleiche Menge an Öl. An vierter Stelle folgt mit weniger als der Hälfte der Menge abgeschlagen der Irak (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Erd%C3%B6l/Tabellen_und_Grafiken#Die_drei_f%C3%BChrenden_F%C3%B6rderl%C3%A4nder). Die Kosten für die Produktion könnten in den drei führenden Förderländern hingegen kaum unterschiedlicher sein. Die Produktionskosten von einem Barrel Öl, das in den USA auf konventionellem Wege oder mit der Fracking-Methode hergestellt wird, liegen mit 36,20 Dollar im Schnitt mehr als dreimal so hoch wie in Saudi-Arabien sowie mehr als doppelt so hoch wie in Russland (vgl. https://money.cnn.com/interactive/economy/the-cost-to-produce-a-barrel-of-oil/index.html).
Die hohen Kosten resultieren aus der Tatsache, dass sich die herkömmlichen und leicht erreichbaren Quellen von konventionellem Öl in den Vereinigten Staaten dem Ende zuneigen und die hohe Steigerung der US-Ölproduktion in den letzten fünf Jahren sich nur aufgrund der Förderung von Schieferöl durch die so genannte Fracking-Methode realisieren lässt. Diese Methode ist teuer, da mit Chemikalien und Sand versetztes Wasser mit hohem Druck bis in 4.000 Metern Tiefe gepresst werden muss, um Öl und Gas aus Rissen im Gestein zu lösen. Zudem muss nicht nur häufiger gebohrt werden, weil die Lagerstätten schneller erschöpft sind, sondern auch horizontal anstatt nur vertikal (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Hydraulic_Fracturing). Einem Bericht des aus verschiedenen US-Stiftungen finanzierten Institute for Energy Economics and Financial Analysis vom Oktober 2018 zufolge arbeiten die Unternehmen in den Vereinigten Staaten, die sich hauptsächlich auf das Fracking spezialisiert haben, trotz eines derzeit wieder steigenden Ölpreises bis heute, ohne einen Gewinn abzuwerfen (vgl. http://ieefa.org/ieefa-u-s-more-red-flags-on-fracking-focused-companies/). Da die Kosten für die Förderung von Öl mittels des Fracking-Verfahrens von dem jeweiligen Vorkommen, der vorhandenen Infrastruktur, der eingesetzten Technik etc. abhängen, kann über die Schwelle, welche der Ölpreis übersteigen muss, damit sich das Fracking lohnt, keine eindeutige Aussage getroffen werden. Der einzige beobachtbare Effekt ist: Je höher der internationale Ölpreis, desto höher die US-Ölproduktion und umgekehrt.
Obwohl die USA ihre eigene Förderung seit 2010 beinahe verdoppeln konnten, sind sie bei ihrem Bedarf noch immer zu mindestens einem Drittel von Ölimporten abhängig und sind auch absolut noch immer der größte Erdölimporteur der Erde (vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/227054/umfrage/die-groessten-rohoelimportlaender-weltweit/). Nach Angaben der US-Regierungsbehörde U.S. Energy Information Administration (EIA) wurden im Juli 2018 339,9 Mio. Barrel Öl in den USA produziert und im selben Zeitraum 245,6 Mio. Barrel Öl importiert, während 66,3 Mio. Barrel exportiert wurden. Fast die Hälfte des importierten Öls stammt aus Kanada. Danach folgen Saudi-Arabien, Mexiko, Venezuela und der Irak als wichtigste Herkunftsländer. Insgesamt stammt etwas mehr als ein Fünftel der Importe (52,8 Mio. Barrel) im Juli 2018 aus arabischen Staaten (vgl. https://www.eia.gov/dnav/pet/pet_crd_crpdn_adc_mbbl_m.htm, https://www.eia.gov/dnav/pet/pet_move_impcus_a2_nus_epc0_im0_mbbl_m.htm, https://www.eia.gov/dnav/pet/pet_move_exp_dc_NUS-Z00_mbbl_m.htm). Zum Vergleich: Diese Menge entspricht ungefähr zwei Drittel des monatlichen Ölverbrauchs in Deutschland (72 Mio. Barrel).
Hinsichtlich des noch verbliebenen Öls in den USA geistern immer wieder Meldung von riesigen Vorkommen durch unsere Medien. Um hier einen klaren Blick zu behalten, muss differenziert werden zwischen Reserven und Ressourcen. Als Reserven bezeichnet man diejenigen Ölvorkommen, die nachgewiesen und mit den derzeitigen technischen Mitteln wirtschaftlich erschließbar sind. Ressourcen sind hingegen entweder statistisch mögliche Vorkommen, die jedoch nicht nachgewiesen sind, oder Vorkommen wie Ölsand, Schwerstöl oder Ölschiefer, welche sich mit den derzeitigen technischen Möglichkeiten nicht wirtschaftlich fördern lassen.
Die Energiestudie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) für 2017 gibt die gesamten Ölressourcen der USA auf Seite 120 wie folgt an (vgl. https://www.bgr.bund.de/DE/Themen/Energie/Produkte/energiestudie2017_Zusammenfassung.html):
- Konventionelle Ressourcen: 15,90 Mrd. Tonnen (entspricht 116,06 Mrd. Barrel)
- Schieferöl: 10,60 Mrd. Tonnen (entspricht 77,37 Mrd. Barrel)
- Unkonventionelle Ressourcen:
- Ölsand: 1,24 Mrd. Tonnen (entspricht 9,06 Mrd. Barrel)
- Schwerstöl: 0,05 Mrd. Tonnen (entspricht 0,36 Mrd. Barrel)
- Ölschiefer: 89,98 Mrd. Tonnen (entspricht 656,79 Mrd. Barrel)
Handelte es sich bei diesen Ressourcen tatsächlich um nachgewiesene Reserven, die sich allesamt wirtschaftlich erschließen lassen könnten, und würden die Förderkapazitäten ausreichen, dann wären die USA bei ihrem jetzigen Bedarf theoretisch noch über 100 Jahre unabhängig von Ölimporten. Insbesondere die Ölschiefervorkommen sind beeindruckend und in ihrer Menge weltweit einzigartig. Doch bei Ölschiefer handelt es sich nur um eine Vorstufe von Öl. Um den begehrten Rohstoff herauszulösen, muss das Gestein auf bis zu 530 Grad erhitzt werden. Eine wirtschaftlich sinnvolle Gewinnung von Rohöl aus Ölschiefer ist daher selbst auf lange Sicht nicht absehbar (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96lschiefer).
Die BGR beziffert auf Seite 121 ihres Berichts für 2017 die tatsächlichen Erdölreserven — also nachgewiesene und wirtschaftlich erschließbare Vorkommen — der USA für 2016 auf 6,52 Mrd. Tonnen, also 47,58 Mrd. Barrel. Die US-Behörde EIA ermittelte für Ende des Jahres 2016 eine Reserve von 32,77 Mrd. Barrel (vgl. https://www.eia.gov/dnav/pet/pet_crd_pres_dcu_NUS_a.htm). Die große Abweichung kommt durch die Einbeziehung von Gaskondensat und Flüssiggas bei der Berechnung der BGR zustande, welche bei der EIA explizit ausgeschlossen sind (vgl. Seite 170 des BGR-Berichts sowie https://www.eia.gov/dnav/pet/TblDefs/pet_crd_pres_tbldef2.asp, https://de.wikipedia.org/wiki/Methanhydrat und https://de.wikipedia.org/wiki/Fl%C3%Bcssiggas). Die verbleibende Menge an Erdöl nach der Berechnung der EIA reicht bei einem jährlichen Verbrauch von 7,3 Mrd. Barrel und ohne zusätzliche Importe theoretisch nur noch für knapp 4,5 Jahre. Bei der derzeitigen Förderrate in den Vereinigten Staaten von ca. 11 Mio. Barrel pro Tag reichen die US-amerikanischen Ölreserven noch für etwas mehr als 8 Jahre.
Zu berücksichtigen ist schließlich noch, dass die nachgewiesenen Reserven in den USA, nach einer langen Periode des Absinkens, die Anfang der 1970er Jahre begann, zwischen 2008 und 2014 von 19,12 Mrd. auf 36,39 Mrd. Barrel deutlich angestiegen sind (vgl. https://www.eia.gov/dnav/pet/hist/LeafHandler.ashx?n=PET&s=RCRR01NUS_1&f=A) und auch zwischen 2014 und 2016 trotz vermehrter Förderung nur geringfügig gesunken sind. Dieser Umstand hängt damit zusammen, dass die EIA Schieferöl trotz fraglicher Wirtschaftlichkeit der Förderung mit der Fracking-Methode in die Berechnung der Reserven einbezogen hat und weitere Schieferölvorkommen entdeckt werden.
Zusammenfassung der Fakten und Anspruch an eine seriöse Berichterstattung
Die tatsächlichen Ölreserven der USA sind um ein Zig-faches kleiner als die nicht nachgewiesenen, statistischen Ressourcen sowie die nachgewiesenen, jedoch mit den derzeitigen technischen Möglichkeiten wirtschaftlich nicht erschließbaren Ressourcen. Doch selbst die Wirtschaftlichkeit des Fracking-Booms lässt Zweifel aufkommen, wenn dieser bis heute nicht kostendeckend ist. Auf Basis der Fakten handelt es sich zum heutigen Kenntnisstand beim Fracking um nichts anderes als um eine teure Wette, in die viele Investoren ihr Geld gesteckt haben. Ein Wette auf bessere Technologien, die das Fracking billiger machen, auf große Neufunde von Vorkommen in den USA und auf höhere Ölpreise, damit Schieferöl gegenüber konventionellem Öl rentabel wird. Dass Wetten dieser Größenordnung auch schief gehen können, ist an der Griechenlandkrise, der Finanzkrise, der Dotcom-Blase, der Asienkrise und weiterer, gut dokumentierter Wirtschaftskrisen ersichtlich. Eine seriöse Berichterstattung müsste also neben jeweils aktuellen Zahlen und Fakten auch auf das mögliche jähe Ende des Fracking-Booms aufgrund mangelnder Wirtschaftlichkeit oder zu geringer Neufunde hinweisen. Insbesondere das Wissen um die noch verbliebenen Ölreserven in den USA, deren Primärenergieverbrauch zu über 40 % vom Erdöl abhängt, ist notwendig, um zukünftige Engpässe der Energieversorgung der Vereinigten Staaten absehen zu können. Daraus lässt sich ableiten, ob und inwieweit sich die USA bereits heute in die Politik erdölfördernder Länder einmischen oder gar militärische Maßnahmen in erdölreichen Regionen der Welt durchführen, um die zukünftige Energieversorgung der derzeit einzigen militärischen Supermacht der Erde zu sichern.
Auswertung der Beiträge auf SPIEGEL ONLINE
Das Archiv von SPIEGEL ONLINE wurde im Volltextmodus mit den Suchbegriffen „Ölverbrauch USA“, „Ölförderung USA“, „Ölimport USA“, „Ölreserve USA“ und „Fracking Öl USA“ sowie anhand der Themenblöcke „Thema Erdöl“, „Thema Erdölförderung“ und „Thema Fracking“ (siehe http://www.spiegel.de/thema/index‑a.html) nach relevanten und kostenfrei zugänglichen Artikeln von SPIEGEL ONLINE, DER SPIEGEL und dem angeschlossenen manager magazin im Zeitraum zwischen dem 01. Januar 2013 und dem 31. Oktober 2018 durchsucht. Als relevant wurden Berichterstattungen eingestuft, die einen Bezug zu den Themen Verbrauch, Förderung, Förderkosten, Import und Reserven von Erdöl sowie zur Wirtschaftlichkeit der Fracking-Methode in den USA hatten. Extrahiert wurde aus diesen Beiträgen das Datum, der Autor / die Autoren, die Quelle(n), das Vorhandensein eines Bezuges und die jeweils inhaltliche Information zu den Themen sowie das Vorhandensein von tatsächlichen, allgemein bekannten Zahlen und Fakten, wie sie weiter oben benannt wurden. Die Auswertung sollte empirische und inhaltliche Daten liefern, wie gut oder schlecht Konsumenten von SPIEGEL ONLINE über die benannten Themen informiert werden.
Vergleicht man die Anzahl der Berichterstattungen zu den einzelnen Themen und stellt man bei der Auswertung der Datensätze den jeweiligen Bezug zum Thema sowie die jeweils vorhandenen eindeutigen Daten zu dem Thema gegenüber, fallen sofort zwei Punkte auf. Erstens, die relativ niedrige Anzahl von Artikeln, in denen der Ölverbrauch, der Ölimport und die Ölreserven der USA behandelt werden. Zweitens, wie gering die Benennung von eindeutigen Daten in den Artikeln ist. Mit eindeutigen Daten ist in diesem Kontext gemeint, ob z.B. in einem Artikel, in dem der Ölimport der USA erwähnt wird, auch tatsächlich beziffert wird, wie hoch die Menge zu dem jeweiligen Zeitpunkt ist.
Theoretisch könnte sich ein SPIEGEL ONLINE-Konsument den Ölimport erschließen, wenn er den aktuellen Verbrauch und die Förderung von Erdöl in den USA gegenübergestellt sieht. Doch in den Artikeln, in denen der Ölverbrauch explizit benannt wird, fehlt die Information über die Menge der Ölförderung, was auch für den umgekehrten Fall gilt. Wie viel Öl die Vereinigten Staaten in den letzten fünf Jahren also tatsächlich pro Tag oder pro Jahr importiert haben, ist auf SPIEGEL ONLINE sowie in den dort veröffentlichten Artikeln von DER SPIEGEL und dem manager magazin ein gut gehütetes Geheimnis. Statt eindeutige Zahlen zum Import zu nennen, wird hingegen in 10 der Artikel spekuliert, die USA könnten schon bald oder bis zum Ende des Jahrzehnts aufgrund des Fracking-Booms in ihrem Land gänzlich von Ölimporten unabhängig sein. In 20 der Artikel wird darauf hingewiesen, dass die Vereinigten Staaten aufgrund des Fracking-Booms schon in Kürze zum größten Erdölproduzenten der Welt aufsteigen könnten oder sie sich den Platz unter den wichtigsten drei Erdölförderländern gesichert hätten. Diese Darstellung ist irreführend, denn die USA sind seit Beginn der Ölproduktion in ihrem Land Ende des 19. Jahrhunderts durchgehend entweder der größte Erdölförderer der Welt oder sie gehören zu den ersten drei. Aufgrund ihres immensen Verbrauchs sind sie jedoch seit Anfang der 1970er Jahre verstärkt auf Ölimporte angewiesen, was sich auch durch das Fracking bis heute nicht wesentlich verändert hat. 2016 waren sie über das gesamte Jahr gerechnet der weltweit größte Importeur von Erdöl, auch wenn China der USA dicht folgt (vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/227054/umfrage/die-groessten-rohoelimportlaender-weltweit/). Schließlich findet man sogar blanke Falschaussagen. In einem Artikel aus DER SPIEGEL vom 04.12.2013 behauptet der Autor Alexander Jung: „Tatsächlich steigen die Vereinigten Staaten 2013 zum weltgrößten Produzenten von Öl und Gas auf“ (vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/dokument/d‑122903941.html). 2013 förderten die USA 446,9 Million Tonnen Erdöl und lagen damit deutlich auf Platz drei hinter Saudi-Arabien (538,4 Mio. t) und Russland (531,1 Mio. t) (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Erd%C3%B6l/Tabellen_und_Grafiken#Nach_L%C3%A4ndern). Selbst wenn man die Öl- und Gasproduktion zusammen betrachtet, lagen die USA 2013 hinter Russland.
Hinsichtlich der Förderkosten ist nicht nur die Anzahl der Artikel mit Bezug zu den Förderkosten sowie mit Bezug zur Wirtschaftlichkeit des Frackings gleich, auch die Artikel selbst sind identisch. In allen 54 Artikeln mit Bezug zu den Förderkosten wird lediglich darauf hingewiesen, dass Fracking im Vergleich zur Förderung von konventionellem Öl relativ teuer ist oder dass sich die Erschließung von Schieferölvorkommen mit der Fracking-Methode in den USA ab einem gewissen Ölpreis lohnen soll. Nicht ein einziger Beitrag auf SPIEGEL ONLINE nennt die durchschnittlichen Kosten für die Ölförderung in den Vereinigten Staaten, geschweige denn vergleicht diese Kosten mit denen in anderen wichtigen Ölnationen wie Saudi-Arabien, Russland, Iran oder Irak. Daher liegt die Anzahl der Artikel mit eindeutigen Zahlen zu den Förderkosten auch bei Null. Doch schaut man sich die inhaltlichen Informationen in den 15 Artikeln mit eindeutigen Daten zur Wirtschaftlichkeit der Fracking-Methode an, dann muss man streng genommen die Bezeichnung „eindeutig“ wieder zurücknehmen. Denn die Aussagen über den Ölpreis, ab dem sich das Fracking in den USA lohnen soll, könnten widersprüchlicher kaum sein. Hier die extremsten Beispiele:
- 28.11.2014: Die Vereinigten Staaten erschließen mit der umstrittenen Fracking-Methode neue Ölvorkommen. Diese kostspieligen Projekte lohnen sich nach Einschätzung von Analysten für Washington aber nur, wenn der Ölpreis bei mindestens 80 Dollar pro Barrel liegt.“ (vgl. http://www.spiegel.de/politik/ausland/oelpreis-saudi-arabien-will-iran-und-russland-schwaechen-a-1005566.html)
- 10.12.2015: „Mit den US-Firmen wollten die Saudis kurzen Prozess machen. Doch sie erwiesen sich als überraschend widerstandsfähig: Sie verlegten ihre Bohrtürme in Regionen der USA, in denen sich für teils 30 Dollar pro Barrel Öl aus der Erde fracken lässt.“ (vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/oelpreis-sinkt-schmierstoff-der-weltkrisen-a-1066870.html)
- 23.01.2015: „Die kostenintensiven Schieferöl-Projekte sind langfristig ausgelegt, zumal die drei größten amerikanischen Schieferformationen auch bei einem Ölpreis von etwa 50 US-Dollar profitabel sein sollen.“ (vgl. http://www.manager-magazin.de/finanzen/boerse/oel-smi-snb-sap-ibm-bundesanleihen-die-kurse-der-woche-a-1014610–3.html)
- 30.01.2015: „Schätzungen zufolge könnte der Ölpreis der Sorte Brent sogar noch bis 40 US-Dollar pro Barrel fallen. Spätestens ab diesem Preis wird Öl- und Gas-Fracking in den USA jedoch unrentabel, was zu nachfolgenden Angebotsverknappungen und einer Preiswende führen wird.“ (vgl. http://www.manager-magazin.de/finanzen/boerse/dax-mdax-oelpreis-zinsen-dividenden-die-charts-der-woche-a-1015826–3.html)
- 13.01.2016: „[…] [S]inkende Ölpreise bedrohen deshalb schnell die Existenz der Fracking-Industrie. […] Sie brauchen Öl für 70 Dollar, um zu überleben.“ (vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/oelpreis-unter-30-euro-wer-jetzt-zittern-muss-a-1071714.html)
- 22.04.2016: „Doch ab einem Ölpreis von 60 Dollar pro Barrel wird Fracking als Alternative zu konventionellem Öl wieder hoch attraktiv.“ (vgl. http://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/a‑1088763–3.html)
Fracking lohnt sich in den USA also bereits ab einem Ölpreis von 30 Dollar oder erst ab 80 Dollar pro Barrel. Nimmt man sämtliche Meldungen über die Wirtschaftlichkeit der Fracking-Industrie in den USA mit Informationen zu dem dafür notwendigen minimalen Ölpreis zusammen, dann ist der Informationsgehalt annähernd gleich Null. Tatsächlich müsste man an dieser Stelle ins Detail gehen, sich die einzelnen Schieferölvorkommen in den USA genauer ansehen und die Schwelle des Ölpreises für eine wirtschaftlich lohnende Förderung für jedes Vorkommen individuell bestimmen. Doch selbst wenn man an diese Daten käme, wäre man kaum schlauer, da das Fracking in den Vereinigten Staaten ein Spekulationsobjekt für Investoren ist, die auf einen dauerhaft hohen Ölpreis, Neufunde von Öl sowie auf verbesserte und damit billigere Fördertechnologien wetten. Somit muss man davon ausgehen, dass viele Fracking-Unternehmen auch dann fördern und neue Vorkommen erschließen, wenn es sich wirtschaftlich zu dem Zeitpunkt gar nicht lohnt. Die Benennung unterschiedlicher pauschaler Ölpreis-Schwellen für die gesamte USA bringt dem Medienkonsumenten jedenfalls keinen Mehrwert und erzeugt eher Verwirrung.
Sinnvoller wäre es stattdessen, auf die Gefahren eines jähen Endes des Fracking-Booms in den USA hinzuweisen. Denn zum einen ist selbst die mittel- bis langfristige Wirtschaftlichkeit des Frackings äußerst fraglich, solange anderswo auf der Welt Öl in großen Mengen zu deutlich günstigeren Kosten produziert werden kann. Zum anderen sind die verbliebenen nachgewiesenen Reserven an Schieferöl extrem gering. Tatsächlich finden sich in 8 der Artikel eindeutige Hinweise, dass es sich beim Fracking-Boom auch um eine Blase handeln könnte, die jederzeit platzen kann. Doch anstatt Fakten zu benennen, die durchaus vorhanden sind und die These untermauern könnten, bleiben die Beiträge in ihren Formulierungen schwammig, geben nur Meinungen von Experten wieder oder relativieren ihren Hinweis durch den Kommentar eines Experten umgehend. Hier einige Beispiele:
- „[…] [E]in Zusammenbruch der jungen Fracking-Industrie in den USA könnte schlimmstenfalls die Finanzbranche in den Abgrund reißen wie einst die Lehman-Pleite.“ (vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/oelpreis-billig-oel-schmiert-die-deutsche-konjunktur-a-1075515.html)
- „Die Schieferöl-Revolution werde nur “für kurze Zeit” die Förderung in den USA befeuern, sagte der US-Ölinvestor Andy Hall laut “Financial Times”.“ (vgl. http://www.manager-magazin.de/politik/artikel/fracking-oel-aus-den-usa-entzweit-opec-kartell-a-902945–2.html)
- „Der Fracking-Boom gilt zudem als Strohfeuer, da mit dieser Technik oft die letzten Reste aus bereits weitgehend leergepumpten Ölreservoirs gefördert werden. IEA-Chef Fatih Birol sieht aber noch kein Ende der hohen Förderung in Sicht. Zumindest die kommenden vier bis fünf Jahre dürfte die US-Ölproduktion noch nicht ihren Zenit erreichen, sagte er der Nachrichtenagentur Reuters.“ (vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/oel-usa-sind-dank-shale-oil-bald-der-weltgroesste-produzent-von-erdoel-a-1195561.html)
Die Benennung der nachgewiesenen verbliebenen Reserven an konventionellem Öl und Schieferöl in den USA im Einklang mit der hohen Förderrate würde den kurzfristigen Effekt des Fracking-Booms leicht nachvollziehbar faktisch untermauern. Doch daran hapert es in der gesamten Berichterstattung der auf SPIEGEL ONLINE veröffentlichten Beiträge. In nur 9 von 700 untersuchten Artikeln kommen die im Boden verbliebenen Reserven und Ressourcen an Öl in den USA überhaupt zur Sprache. Zwei davon beschäftigen sich mit den immensen Ressourcen an Ölschiefer, aus dem sich jedoch auch langfristig unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten kein Öl produzieren lässt (vgl. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d‑90750465.html und http://www.spiegel.de/wirtschaft/oelpreis-wie-fracking-den-preis-von-erdoel-beeinflusst-a-1068577.html). Ein Artikel meldet einen Schieferölfund in Texas von geschätzten 20 Mrd. Barrel, von dem noch gar nicht klar ist, wie viel sich davon wirtschaftlich fördern lässt (vgl. http://www.manager-magazin.de/unternehmen/energie/wolfcamp-groesster-oelfund-der-us-geschichte-in-texas-a-1121741.html). Zwei Beiträge berichten von einem Fund konventionellen Öls mit einer Menge von 1,2 Mrd. Barrel in Alaska (vgl. http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/alaska-konzern-repsol-entdeckt-riesiges-erdoel-vorkommen-a-1138468.html und http://www.spiegel.de/einestages/usa-kaufen-alaska-1867-von-russland-schatzkammer-als-schnaeppchen-a-1140752.html), ein weiterer berichtet von der Neueinschätzung eines Schieferölvorkommens in Kalifornien, welche zu einer Reduktion der gesamten Schieferölreserven in den USA um zwei Drittel führt (vgl. http://www.manager-magazin.de/unternehmen/energie/fracking-kann-oelreserven-nicht-aus-monterey-shale-in-kalifornien-loesen-a-970983.html). Ein Artikel gibt die Ölreserven nur indirekt wieder, indem die Einstufung der USA auf Rang 10 der Länder mit Ölreserven benannt wird (vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/donald-trump-in-paris-ich-bin-ein-riesengrosser-fracker-a-1157676.html). Nur zwei von 105 relevanten Beiträgen auf SPIEGEL ONLINE benennen tatsächlich ein Zahl für die nachgewiesenen Erdölvorkommen in den Vereinigten Staaten. Der Artikel mit dem Titel „Riesiges Ölfeld: Bahrains sagenhafter Schatz“ beziffert die Ölreserven der USA beiläufig mit 48 Mrd. Barrel, ohne die Quelle dieser Zahl zu benennen (vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/bahrain-wie-viel-nutzt-das-riesige-oelfeld-dem-koenigreich-a-1201892.html). Wahrscheinlich stammt die Ziffer aus dem bereits weiter oben genannten Energiebericht der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe von 2017, in dem die Ölreserven der USA für 2016 mit 6.519 Mio. Tonnen (entspricht 47,58 Mrd. Barrel) angegeben werden und Gaskondensat sowie Flüssiggas einbezogen sind. In einem weiteren Artikel mit dem Titel „Die wichtigsten Fakten: Wie der Ölpreis die Welt bewegt“ vom 09. Mai 2017 befinden sich zwei interaktive Karten der Welt mit Informationen zur Ölproduktion und zu den Ölreserven (vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/oelpreis-endlich-verstaendlich-die-wichtigsten-fakten-zum-erdoel-a-1140628.html#sponfakt=5). Fährt man mit dem Mauszeiger über die Länder, erhält man u.a. Informationen zu den Reserven eines Landes. Für die USA werden Reserven von 55 Mrd. Barrel Erdöl angegeben. Als Quelle dieser Zahl werden die International Energy Agency sowie der BP Statistical Review of World Energy 2016 benannt. Bei der ersten Angabe handelt es sich um keine genaue Quellenangabe, und die zweite Quelle ist nicht mehr im Internet verfügbar. Der BP Statistical Review of World Energy 2018 gibt jedoch auf Seite 12 die Ölreserven für 2016 mit 50 Mrd. Barrel an, allerdings werden bei dieser Zahl auch Gaskondensat und Flüssiggas eingerechnet (vgl. https://www.bp.com/content/dam/bp/en/corporate/pdf/energy-economics/statistical-review/bp-stats-review-2018-full-report.pdf).
Verwirrend im Kontext der Berichterstattung über die Ölreserven in den USA ist zudem die synonyme Verwendung des Begriffs „Ölreserve“ für die im Boden nachgewiesenen Vorkommen, die Rohöllagerbestände sowie für die strategische Ölreserve der USA, welche diese nach der Energiekrise in den 1970er Jahren angelegt haben, um kurzfristigen Förderbeschränkungen der Opec entgegenzuwirken. In keinem Beitrag wird die unterschiedliche Verwendung des Begriffs näher erläutert, so dass sich nur ein fachkundiger Medienkonsument die jeweilige Bedeutung im Kontext erschließen kann.
Fazit
Wenn man sich über die aktuelle und zukünftige Abhängigkeit der USA von Erdöl aus dem Ausland informieren will, sind drei einfache Zahlen absolut grundlegend: die Menge des Imports von Erdöl in die USA, die Förderung sowie die Höhe der nachgewiesenen Reserven in den Vereinigten Staaten. Für 2016 lauten diese Zahlen gemäß der US-Behörde U.S. Energy Information Administration (EIA):
- Import: 3,68 Mrd. Barrel (vgl. https://www.eia.gov/dnav/pet/pet_move_impcus_a2_nus_ep00_im0_mbbl_a.htm)
- Förderung: 3,23 Mrd. Barrel (vgl. https://www.eia.gov/dnav/pet/pet_crd_crpdn_adc_mbbl_a.htm)
- Reserven: 32,77 Mrd. Barrel (vgl. https://www.eia.gov/dnav/pet/pet_crd_pres_dcu_NUS_a.htm)
Diese Zahlen sprechen für sich. Man benötigt keine Expertenmeinung, um zu erkennen, wie abhängig die USA von Erdölimporten sind. Man braucht noch nicht einmal einen Taschenrechner, um die kurze verbleibende Zeit zu berechnen, in der die Erdölreserven in den Vereinigten Staaten aufgebraucht sein werden. Vergleicht man nun noch die durchschnittlichen Förderkosten der wichtigsten Erdöl-produzierenden Länder, dann erkennt man sofort, dass Schieferöl aus den USA auf dem internationalen Markt auf Dauer nicht wettbewerbsfähig sein kann. Ist man sich zudem gewahr, dass 40 % der US-amerikanischen Primärenergie durch Erdöl gedeckt wird, kann man aus diesem Wissen grundlegende aktuelle und zukünftige geostrategische Interessen der USA sowie deren Umsetzungen ableiten.
Dieser Beitrag hat sowohl empirisch als auch inhaltlich nachgewiesen, dass die von SPIEGEL ONLINE veröffentlichten Artikel inklusive der Artikel des manager maganzins und der frei zugänglichen Beiträge von DER SPIEGEL diese Zahlen sowie deren kombinierte Darstellung ihren Konsumenten konsequent vorenthalten. Stattdessen werden diese mit größtenteils — bezüglich der hier im Beitrag benannten Themen — inhaltslosen oder widersprüchlichen Informationen über die US-amerikanische Ölproduktion und die Wirtschaftlichkeit der Fracking-Methode regelrecht bombardiert. Zudem nehmen Spekulationen über die baldige Unabhängigkeit der USA von Ölimporten sowie die nicht zutreffende Behauptung, die USA seien allein dank des Frackings zu einem der größten Erdölproduzenten der Welt aufgestiegen, einen ebenso großen Raum ein wie die tatsächlichen Fakten.
SPIEGEL-Leser wissen nicht mehr, sondern deutlich weniger als Menschen, die sich ihre Informationen direkt an den Quellen besorgen, anstatt auf die größtenteils einseitige Berichterstattung dieses Massenmediums zu vertrauen.