Von so genannten „Faktencheckern“, zu denen sich auch die Redaktion des ARD-faktenfinders selber zählt, würde man erwarten, dass sie sich mit den Hintergründen – belegte Tatsachen, Indizien und unterschiedliche Meinungen – beispielsweise eines historischen Ereignisses auseinandersetzen und diese differenziert aus den jeweiligen Perspektiven wertfrei darstellen. Doch genau das erfolgt erstaunlicherweise nicht. Stattdessen kann man in den Faktenchecks des ARD-faktenfinders die Verwendung von Propagandatechniken eindeutig nachweisen. Fraglich ist, ob den Autoren dies selbst überhaupt bewusst ist.
Die verwendeten Propagandatechniken werden besonders deutlich in dem Beitrag „Viel Aufmerksamkeit für fragwürdige Experten“ von Carla Reveland und ihrem Co-Autor Pascal Siggelkow, verantwortlich für den ARD-faktenfinder. Es geht um den Krieg in der Ukraine und wie er begonnen hat. Bei einem ordentlichen Faktencheck würde man davon ausgehen, dass der historisch relevante Hintergrund der Auseinandersetzung näher beleuchtet wird.
Für den aktuellen militärischen Konflikt in der Ukraine ist insbesondere die Zeit seit der Unabhängigkeit des Landes von der Sowjetunion im Jahr 1991 von Relevanz. Seit dem Ende des Kalten Krieges gibt es in der Ukraine einen Richtungsstreit zwischen verschiedenen Interessengruppen, ob man sich eher dem Westen und der EU zuwenden soll oder dem Osten und Russland. Die Gegensätze werden dadurch verstärkt, dass die Bevölkerung im Osten des Landes und auf der Krim zu großen Teilen oder sogar mehrheitlich russischstämmig ist. Doch auch die Erwartungen anderer Länder und Staatenvereinigungen an den Ausgang des spätestens seit 2014 andauernden Bürgerkrieges in der Ukraine und seiner Eskalation seit 2022 sind offensichtlich und historisch nachvollziehbar.
Neben den Bestrebungen Russlands, eine weitere Ausweitung der Nato Richtung Osten zu verhindern, um die Sicherheit des eigenen Landes zu wahren, verfolgen sowohl die USA, die EU als auch China ganz offensichtlich eigene Interessen – anders sind die hohen Investitionen ausgerechnet in diesen Konflikt kaum zu erklären. Während die USA und die EU eine Erweiterung ihres jeweiligen Einflussgebietes über die Integration der Ukraine in die Nato beziehungsweise in die EU anstreben, sucht China offenbar einen starken Verbündeten in seiner Konkurrenz mit den USA um die wirtschaftliche und militärische Vormachtstellung in der Welt.
Die unterschiedlichen geopolitischen Erwartungen der USA, der EU, Chinas und Russlands an den Ausgang des Konflikts in der Ukraine werden von den Autoren jedoch außer Acht gelassen, diejenigen der USA und der EU gar vollkommen negiert. In ihrem Beitrag zeichnen Reveland und Siggelkow ein Bild von einer Auseinandersetzung, in der der Westen lediglich die souveränen Rechte der ukrainischen Regierung sowie des Teils der Bevölkerung des Landes, der sich dem Westen zuwendet, stärken will, während Russland neoimperialistische Ziele verfolgt. Chinas Interessen oder die Interessen des russischstämmigen Teils der ukrainischen Bevölkerung werden überhaupt nicht beleuchtet.
Vereinfachung der Hintergründe des militärischen Konflikts in der Ukraine
Diese verkürzte und einseitige Sichtweise deckt an sich bereits drei Propagandatechniken ab, nämlich die der Vereinfachung, der Halbwahrheit und der Wiederholung. Den vielschichtigen und unterschiedlichen Interessen an dem Konflikt in der Ukraine wird ein einfaches Gut-Böse-Schema übergestülpt: Die Russen sind die bösen Aggressoren, die (sich dem Westen zuwendenden) Ukrainer die unschuldigen Opfer und der Westen der edle Retter, der den Opfern selbstlos beiseite steht – eine Darstellung wie aus einem billigen amerikanischen Western aus den 1960er Jahren. Aus dieser Perspektive ist die offizielle, von politischen und journalistischen Meinungsführern vertretene „westliche“ Sicht frei von jeglicher Propaganda, die russische Sicht davon durchtränkt und jeder, der im Westen auf die Vielseitigkeit der Interessenlagen öffentlich hinweist, folglich ein Verbreiter russischer Propaganda und ein Antiamerikanist.
Ein Blick in die Geschichtsforschung zeigt, dass militärische Konflikte in der Vergangenheit immer komplexe Hintergründe hatten und Vereinfachungen und Halbwahrheiten stets Propagandamittel der Eliten waren, um die eigenen Interessen vor der heimischen Bevölkerung zu kaschieren und diese von der Rechtmäßigkeit eines militärischen Eingreifens zu überzeugen. Um dieses Muster im Ukraine-Konflikt nicht zu erkennen, braucht es einerseits eine mangelnde Geschichtskenntnis und fehlendes Wissen über aktuelle geopolitische Auseinandersetzungen sowie andererseits eine ständige Wiederholung der einseitigen Sichtweise.
Wenn die Wiederholung exzessiv und quasi bis zum Erbrechen betrieben wird, dann können sogar einfache, logisch in sich widersprüchliche Aussagen wie „Krieg ist Frieden“ den Rezipienten als wahr erscheinen. Von diesem Slogan, der aus dem dystopischen Roman „1984“ von George Orwell stammt und an den auch die entsprechende Propagandatechnik namens „Neusprech“ angelehnt ist, sind die einflussreichen Medien in Deutschland mit der Verbreitung von Aussagen wie „Panzer retten Leben“ nicht weit entfernt.
Diskreditierung statt sachliche Auseinandersetzung
Anstatt, wie bereits beschrieben, die vielschichtigen Hintergründe des Konflikts in der Ukraine darzustellen, konzentrieren sich die Autoren Reveland und Siggelkow in ihrem Beitrag mit einfach nachzuweisenden Propagandatechniken wie „Berufung auf Autoritäten“ und „Ad hominem“ auf die Diskreditierung von in der Öffentlichkeit stehenden Personen, welche ihrerseits auf die vielschichtigen Hintergründe des Konflikts in der Ukraine hinweisen.
Die Argumente von Daniele Ganser, Ulrike Guérot und Gabriele Krone-Schmalz werden unter Berufung auf Autoritäten – in diesem Fall die drei Osteuropawissenschaftler Frithjof Benjamin Schenk, Klaus Gestwa und Martin Aust – als abwegig und falsch dargestellt, anstatt die unterschiedlichen Sichtweisen wertfrei gegenüberzustellen. Eine Stellungnahme zu den Vorwürfen haben die Autoren bei den betroffenen Personen nicht eingeholt, obwohl dies einer ausgewogenen Berichterstattung entspräche. Dazu sind die beiden Journalisten aufgrund Paragraph 26 des Medienstaatsvertrages jedoch verpflichtet. Dort steht: „Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen.“
Die inhaltliche Auseinandersetzung nimmt auch nur einen Teil der Kritik der beiden Autoren an den Äußerungen von Ganser, Guérot und Krone-Schmalz ein. Große Teile des Beitrages bestehen aus der Darstellung negativ charakterisierender Eigenschaften der angegriffenen Personen. Eine derartige Vorgehensweise fällt unter die Kategorie der Scheinargumente, mit denen die Unwahrheit der von diesen Personen vertretenen Meinungen belegt werden soll, ohne auf deren eigentlichen Argumente inhaltlich einzugehen.
Diskreditierung von Daniele Ganser
Dem Schweizer Historiker wird vorgeworfen, „seine Thesen zum russischen Angriffskrieg öffentlichkeitswirksam und gewinnbringend zu verbreiten“. In diesem Zusammenhang wird auch die inhaltlich vollkommen irrelevante Information über die Höhe der Ticketpreise für Gansers Veranstaltungen genannt. Des Weiteren werden ihm ein Mangel an Expertise sowie Antiamerikanismus zur Last gelegt, weil er sich in seinen Publikationen kritisch mit den geopolitischen Interessen der USA und deren Völkerrechtsbrüchen auseinandersetzt. Mit der gleichen Argumentationsweise könnte man jeder Person, die sich kritisch mit den geopolitischen Interessen Russlands auseinandersetzt, Russophobie vorwerfen.
Ein ganzer Unterabschnitt mit dem Titel „Ganser ist Unternehmer“ widmet sich der Behauptung, dass der Historiker nicht mehr wissenschaftlich tätig sei, da er nicht an einer Hochschule als Lehrkraft angestellt ist. Doch dieser Schluss ist unlogisch, da eine wissenschaftliche Tätigkeit nicht von einer Beschäftigung an einer Hochschule abhängig ist. Zudem werden ihm hohe Einkünfte aus seinen weiteren Tätigkeiten vorgeworfen. Diese Informationen gehen allesamt nicht inhaltlich auf die Argumente Gansers ein und haben einzig zum Ziel, die Glaubwürdigkeit der von ihm vertretenen Meinung zum Konflikt in der Ukraine zu untergraben.
Diskreditierung von Ulrike Guérot
Auch der Politikwissenschaftlerin und Professorin für Europapolitik Guérot wird mangelndes Fachwissen zum Konflikt in der Ukraine vorgeworfen, obwohl sie zu entsprechenden Talkshows in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aufgetreten sei. Die Gegenfrage, über welche Fachkenntnisse Agnes Strack-Zimmermann, Verlagsrepräsentantin mit einem Hochschulabschluss in Publizistik, Politikwissenschaft und Germanistik, verfügt, die in einer dieser Talkshows die Gegenposition zu Guérot vertreten hat, wird nicht gestellt.
Um die Glaubwürdigkeit von Guérot zu untergraben fügen Reveland und Siggelkow bereits im zweiten Satz des ersten Absatzes zu ihrer Person die inhaltlich nicht relevante Information ein, dass Guérot aufgrund von Plagiatsvorwürfen von der Universität Bonn gekündigt wurde.
Diskreditierung von Gabriele Krone-Schmalz
Der ehemaligen ARD-Russlandkorrespondentin Krone-Schmalz wird vorgeworfen, sie weiche mit ihren Ansichten zum Teil stark vom wissenschaftlichen Konsens ab und relativiere die russischen Gräueltaten. Was dieser wissenschaftliche Konsens sein soll und wer ihn definiert, wird jedoch nicht ausgeführt. Zumindest „kokettiere sie nicht mit den extremen Rändern und Verschwörungsideologen“ wie Guérot und Ganser. Mit diesem Nebensatz verwenden Reveland und Siggelkow noch eine weitere Propagandatechnik, die der Kontaktschuld. Damit soll ein Zielpublikum überzeugt werden, eine Aktion oder eine Idee abzulehnen, indem darauf hingewiesen wird, dass die Idee bei Gruppen beliebt ist, die von dem Zielpublikum gehasst, gefürchtet oder verachtet werden.
Sind sich Reveland und Siggelkow der Verwendung von Propagandatechniken in ihrem Beitrag bewusst?
Die Offensichtlichkeit der unausgewogenen und einseitigen Darstellung mithilfe einfach nachzuweisender Propagandatechniken lässt Zweifel aufkommen, ob den beiden Journalisten Reveland und Siggelkow deren Verwendung überhaupt bewusst ist. Vielmehr drängt sich die Vermutung auf, dass es ihnen an einem ausreichenden geschichtlichen Wissen und grundlegenden Kenntnissen der geopolitischen Interessen der aktuell wirtschaftlich und militärisch dominierenden Staaten und Staatenbündnisse mangelt. Zudem scheinen sie von der von ihnen selbst verbreiteten und repetierten einseitigen Propaganda der USA und der EU so vereinnahmt zu sein, dass sie zu einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit der Qualität ihrer Tätigkeit nicht fähig sind.
Ein journalistischer Beitrag, der den Qualitätskriterien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, wie sie im Medienstaatsvertrag festgelegt sind, entsprochen hätte, hätte nicht nur die einseitige Kritik der drei Osteuropawissenschaftler beinhaltet, sondern auch die Stellungnahme der kritisierten Personen Ganser, Guérot und Krone-Schmalz. Noch bereichernder für die öffentliche Meinungsbildung wäre ein im öffentlich-rechtlichen Rundfunk übertragenes Streitgespräch mit genau diesen sechs Gästen gewesen – begleitet von einer Moderation, die wertfrei und nicht einseitig in den Austausch der Argumente eingreift, sowie durchgeführt von einer Redaktion, die auf die Einspielung einseitiger Hintergrundinformationen verzichtet.
Eine derart differenzierte Auseinandersetzung mit den Gründen für den Konflikt in der Ukraine muss nicht unweigerlich dazu führen, dass sich die Mediennutzer in einen prowestlichen und einen prorussischen Teil aufspalten. Im Gegenteil, die Erkenntnis, dass beide Seiten eigene Interessen verfolgen und dafür bereit sind, eine hohe Anzahl von Menschenleben unter den Soldaten und Zivilisten in der Ukraine zu opfern, hätte durchaus das Potential, eine dritte Position zu stärken: die der Neutralität und des Vermittlers von Friedensgesprächen.
Wie weit die ARD von einer derart hochqualitativen und wertneutralen öffentlichen Berichterstattung entfernt ist, zeigt letztendlich der Beitrag von Reveland und Siggelkow, der diesen Anforderungen in mehrfacher Hinsicht widerspricht und größtenteils das Ziel verfolgt, den Ruf der angegriffenen Personen zu schädigen.
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Das Problem sind weniger die ‘Faktenschecker’,sondern die offenbar automatisch ablaufenden Prozesse einer Art Gleichschaltung. Die Meinung innerhalb der Bevölkerung ist durchaus differenziert, aber die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, daß gerade Intellektuelle der veröffentlichten Propaganda nur allzu bereitwillig folgen. Die bittere Erkenntnis: Das ist schon länger so, man hat den Anfängen nicht gewehrt. Die Frage ist: Was ist schlau? Sich mit Siggelkow beschäftigen? Bei Telepolis posten? Oder Veganer werden und die Heizung runterdrehen?
Nach guten Jahren kommen halt Schlechte. Das war schon immer so. Gegenhalten solange Mensch kann! Indikator für die prekäre Situation sind die schwachen Kulturleistungen (Film/Literatur/Musik) seit einiger Zeit.